03-07-2013
Stolpern im Schnee
Während Bach hin und zurück reiste, dreht sich der Wanderer in Schuberts Winterreise im Kreis. Zwar bewegt er sich immer wieder fluchtartig, bleibt aber ausweglos gefangen. Zugrunde liegt der gleichnamige Gedichtzyklus von Wilhelm Müller, der in der Sammlung Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten veröffentlicht wurde. Auch dieses Schwergewicht des Liedesrepertoires hat in jüngster Zeit wieder einmal die Pferde gewechselt. Mathias Rüegg, der Gründer und langjährige Leiter des Vienna Art Orchestra hat die Hälfte der Lieder für Jazzquintett arrangiert; und die junge Sängerin Lia Pale interpretiert sie ganz erstaunlich unbefangen. Pale hat Müllers Texte ins Englische übertragen, oft gekürzt. Leicht und doch melancholisch klingt das, unterstützt von einem sehr klaren, stark ausgedünnten Instrumentalsound. Ob man da wirklich dem ersten Reflex nachgeben will, der für diese Texte doch eine gewichtigere Stimme einfordert? Es leuchtet schon beim zweiten Hören durchaus ein, diese Lieder, losgelöst von der gewohnten Besetzung, als schmerzhafte Selbsterkundung eines Menschen in einer beliebigen Lebenssituation zu lesen, als stolpernde Schritte nach dem Scheitern einer Liebe, eines bisher gegangenen Wegs. Das letzte Lied hat Pale mit dem titelgebenden Fazit Gone too far überschrieben. Nimmt sie die Kühnheit der Bearbeitung doch noch zurück? Lesen wir es lieber als Feststellung, dass es von einer solchen Seelenreise keine Rückkehr in alte Muster gibt. Denn diese Art des Fortschreibens lyrischer Tradition scheint mir keinesfalls zu weit zu gehen.
Pia Schwab