Hessische-Niedersächsische Allgemeine

10-07-2013

Winterreise im Jazz

Fremd bin ich eingezogen / fremd zieh ich wieder aus“: Mit diesen Zeilen fängt der wohl berühmteste Liedzyklus der deutschen Romantik an: Schuberts „Winterreise“ zu Texten von Wilhelm Müller. Das spannende Debüt einer jungen Jazzsängerin verarbeitet nun diese musikalische Vorlage zu einer eigenständigen Musikmelange, die den existenziellen Charakter der Schubert’schen Vorlage atmet und doch ganz heutig ist.

„Gone Too Far“ hat Lia Pale ihr Album genannt und beginnt mit insistierendem Bass und leichten, repetitiven Klavierakzenten zu den Zeilen: „As stranger I arrived / As stranger I will leave“. Die Liedstimmung hellt sich dann mit dem Einsetzen des Saxofons auf, wie überhaupt eine der Stärken des abwechslungsreichen Albums ist, Stimmungswechsel in den musikalischen Farben differenziert auszugestalten.

Ganz dunkel muss es natürlich auch werden. Die Verzweiflung der Vorlage darf nicht oberflächlich wegnivelliert werden – und das passiert auch nicht (Arrangements: Mathias Rüegg). Am tiefsten hinab geht es also in „Barefoot On The Snowbank“ (im Original: „Der Leiermann“), das von Klavier, Saxofon und Percussion in einen spiraligen Sog in die Traurigkeit moduliert wird.

Lia Pales helle, zerbrechlich wirkende Stimme ist ein schöner Gegensatz dazu. „Intimität“ schätzt sie am Jazzgesang, sagt die 27-jährige Österreicherin und so gestaltet sie auch den Charakter der Platte. Schubert ist dabei stets durchzuhören, auch durch den Einsatz des Klaviers. Mit den Worten „fade away“ – vergehen und einsam ins Ohr dringenden gezupften Basstönen endet die spannende Musikreise.