Rapsodie Nègre
Diese Erik Satie gewidmete fünfsätzige Komposition schrieb der junge Francis Poulenc – Pariser Pianist und Komponist (1899 bis 1963) - 1918 im Alter von achtzehn Jahren, als in Paris nach dem Aufgreifen der hellenistischen Kultur L’Art Nègre modern war und das Jazz Age kurz drauf noch folgen sollte. Poulenc, später auch Mitglied der Groupe des Six mit Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud und der einzigen Frau Germaine Tailleferre, dürfte sicher auch die damals bereits in Paris gastierenden und mit großer Begeisterung aufgenommenen amerikanischen Ragtime Bands wie z.B. die von John Philip Sousa, gehört haben. Jedenfalls verwendet er in der elfminütigen Rapsodie Nègre als Hauptthema ein pentatonisches Bluesmotiv. Bei der Uraufführung 1918 bemerkte übrigens Maurice Ravel, „das Schöne an Poulenc sei, dass er seine eigene Folklore erfindet.“ Und das tat er tatsächlich, in dem er im dritten Satz ein Gedicht von einem gewissen Makoko Kangourou vertont, und das geht so: Honoloulou, poti lama, Honoloulou, Honoloulou, Kati moko, mosi bolou, Ratakousira, polama etc. Es ist nicht schwer zu erraten, dass sich der junge Poulenc zur Verwirrung der Journalisten wohl einen Scherz erlaubt haben dürfte, und Autor sowie Text wohl selber erfunden hat. Was in etwa dem damaligen naiven Verständnis von „Afrikanischer Kultur“ entsprochen haben dürfte. Jedenfalls habe ich diese Rhapsodie – in der es durchaus auch Parallelen zu Gershwins Rhapsody in Blue gibt – von dem französischen Jazzorchester von Jean Christophe Cholet beauftragt, Takt für Takt bearbeitet. Etwas, das ich liebe und schon öfters gemacht habe. z.B. in All That Strauss, Rhapsody in Blue & Concerto in F oder Schuberts Winterreise (Gone Too Far).
Es stellte sich mir dabei die Frage, wie ich mit Poulencs Auffassung von L’Art Nègre, aus der heutigen Sicht vielleicht etwas problematisch - umgehen könnte. Als erstes hab ich die Sätze Prélude – Ronde – Honoloulou – Pastorale – Final umbenannt in Harriett Tubman (eine unglaubliche Frau, eine amerikanische Nationalheldin, die man hierzu-lande kaum kennt!) – Martin Luther King – Louis Armstrong – James Baldwin und Jack Johnson. Dann habe ich das sich endlos wiederholende, dem Text unterlegte Motiv (H-A-G#-F# absteigend) im Dritten Satz mit einem anderen Text versehen, wobei die Musiker diesen jeweils in zwei Chören singen zu singen haben. Zuerst geht es um Gegenüber-stellungen: Amadé Mozart/Art Tatum, Franz Schubert/Bill Evans, Richard Wagner/Stan Kenton. Dann folgen andere Paarungen, immer mit dem selben Viertonmotiv gesungen: Kulu Sé Mama (berühmtes Album von John Coltrane)/Kind of Blue (berühmtes Album von Miles Davis, John Cage/Cecil Taylor und André Breton/Jean Cocteau. Das könnte man ja als kleines Gedankenspiel für sich selber fortführen. Etwa im Spannungsfeld Jazz/Klassik, Schwarz/Weiß und New York/Paris. Und zwar so, dass es sich jeweils in einem 4/4 Takt ausgeht!
Jedenfalls verwendet Poulenc in diesem Stück für Klavier und kleines Orchester rasend schnelle Ostinati in der linken Hand. Er dürfte also schon sehr jung eine ausgezeichnete Technik gehabt haben. Meine Bearbeitung ist für zwei Pianisten geschrieben, einen klassischen und den Jazzpianisten Christoph Cholet. Poulencs Klavierstimme seines Opus 1 ist im Original also immer irgendwo präsent. Das Streichquartett wird bei mir durch Holzbläser ersetzt und neben der Rhythmusgruppe gibt es auch noch ein Blechtrio, das beschäftigt werden möchte. Die UA wird übrigens dann im Mai in Frankreich sein.
Poulencs Leben nahm unerwartete Wendungen. Er verließ sein dadaistisches Umfeld 1936 nach dem Tod eines Freundes, wandte sich dem Katholizismus zu und komponierte fortan ein Vielzahl geistlicher Werke. Und daneben lebte er öffentlich seine Beziehungen zu Männern aus. Eine erstaunliche Kombination.
mathias rüegg
Der nächste Eintrag folgt am 15.September