Gedanken über Hymnen, Nationen und Romy Schneider eines „heimatlosen“ Austroschweizers*
Es war irgendwann im Jahr 1978 – das Art Orchester war gerade Mal ein Jahr alt, als mir mein damaliges überlebensgroßes Vorbild Uli Scherer von Carla Bley Spangled Banner Minor and Other Patriotic Songs von Carla Bley (erschienen auf European Tour 1977 /Carla Bley Band – Watt) vorspielte. Diese sehr spezielle Bearbeitung der amerikanischen Nationalhymne hatte einen tiefen Eindruck auf mich hinterlassen und dürfte mich für eine sehr lange Zeit musikalisch geprägt haben. Besonders glücklich war ich dann, als Carla mich 1985 beim Jazz-Jamboree Warschau plötzlich in meiner Geradrobe aufsuchen sollte um sich das halbe Art Orchester auszuborgen. Was ich damit sagen will ist folgendes: die seit 1932 existierende US-Hymne, basierend auf einem schottischen Trinklied, ist ein von den Amerikanern heiß geliebter „Song“. Nicht zuletzt wegen dessen melodischer, rhythmischer und harmonischer „Gustostückerln“. Man möge sich überlegen, inwiefern dieses Lied das Niveau der amerikanischen Popmusik beeinflusst haben könnte..
Ich selbst halte wenig von Hymnen nationaler Art. Ich habe noch nie im Leben bei einer mitgesungen und werde es wohl auch nie tun. Hätte es aber vor zweihundert Jahren sehr wohl getan. Damals, als die aufkommenden Nationalstaaten sich aus der feudalistischen Willkür befreiten und damit den Grundstein für die moderne Demokratie legten. Allerdings hatte ich vor ca. zwanzig Jahren, auf Ersuchen meines Vaters, dann doch bei einem Wettbewerb für eine neue Schweizer Nationalhymne mit ihm zusammen teilgenommen (leider haben sich die Aufzeichnungen in Luft aufgelöst!).Unser Beitrag wurde von der Jury sehr gelobt. Die Hymne ist selbstverständlich noch immer dieselbe: ein unmöglicher Text mit einer Melodie, die sich im Pathos selbst ertränkt, und das Ganze zu hundert Prozent rhythmusbefreit! Die erste Strophe lautet so: „Trittst im Morgenrot daher, Seh' ich dich im Strahlenmeer,Dich, du Hocherhabener, Herrlicher! Wenn der Alpenfirn sich rötet, Betet, freie Schweizer, betet! Eure fromme Seele ahnt Gott im hehren Vaterland, Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.“ Ops! – ja genau. Aber die französische Hymne, die Marseillaise – musikalisch etwas attraktiver, sofern man auf Marschmusik steht - ist textlich auch nicht von schlechten Eltern: „Auf, Kinder des Vaterlands, Der Tag des Ruhmes ist gekommen! Gegen uns Tyrannei, Das blutige Banner ist erhoben. Hört ihr auf den Feldern Diese wilden Soldaten brüllen? Sie kommen bis in eure Arme, Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden.“
Nachdem wir uns aber im Jahr 2014 in einer ganz anderen, vernetzten Welt als zu Beginn des 19.Jahrhunderts befinden, stellt sich überhaupt die Frage nach dem Sinn solcher antiquierter Landeshymnen. So man denn eine Hymne wirklich braucht, könnte man ja auch etwas nehmen, das den Leuten gefällt – die Hymne von West Virginia Country Roads z.B. stammt vom Countrymusiker John Denver – oder etwas aus dem Fundus der großen europäischen Klassik. Österreich etwa den Anfang von Mozarts 40. Symphonie in G-Moll oder Russland Les Augures Printaniers aus Strawinsky Sacre du Printemps. Die Franzosen könnten sich auf ihr nationales Liedgut besinnen und Non, je ne regrette rien von Charles Dumont/Michel Vaucaire sanstimmen. Oder man nimmt das Lied des jeweiligen letzten Songcontest-Siegers, wenn man die anderen Nationen besonders nerven will. Im übrigen gäbe es ja bereits die europäische Hymne, sinnvollerweise OHNE Text (wie z.B. auch die spanische), immerhin aus Beethovens 9. Symphonie. Das ist doch mal ein kulturelles Statement! Es hätte ja auch Olé, Olé, Olé werden können..
Ah ja, da war doch noch was: warum überlässt man in Österreich die Textwahl – sprich dieses eine Wort nicht den Singenden, falls diese Hymne denn überhaupt noch gesungen wird? Das wäre doch ein kleiner Schritt in Richtung gelebte Demokratie: Heimat bist Du großer Frauen (wenn man zu Bertha von Suttner aufschaut), Heimat bist du großer Männer (wenn man Sigmund Freuds Pioniertaten verstanden hat), Heimat bist du großer Töchter (wenn man als Cineast Romy Schneider verehrt), Heimat bist du großer Söhne (wenn man sich mit einem Helden wie Hermann Maier identifizieren möchte) oder Heimat bist du großer Kinder, wenn einem nach Kanzler und Vize zumute ist. In der Marseillaise heißt es übrigens Allons enfants de la Patrie! Auf, Kinder des Vaterlandes. Und die Bauern und Jäger, könnten mit Heimat bist Du großer Tiere! aufwarten. Und fast alle wären glücklich. Dann würde auch noch Heimat bist Du großer Dome durchgehen.
mathias rüegg
* der seit 1976 in Wien lebt und heuer noch nicht mal berechtigt war, an der Abstimmung über die Mariahilfer Straße teilzunehmen. Das wurmt natürlich, schließlich bin stolzer Besitzer zweier Staatsbürgerschaften: der europäischen und der des siebten Bezirkes! Und an der Hymne für den siebten Bezirk arbeite ich gerade.
Der nächste Eintrag folgt am 1.September