Whiplash
Die gleichnamige Komposition Whiplash im 7/8 von Hank Levey, die er für das Don Ellis Orchestra geschrieben hatte, ist der Titel dieses Filmes, in dem es um pädagogischen Sadismus (im Jazz) geht. Sieht man einmal von den großartigen Leistungen der zwei Protagnonisten Miles Teller, der tatsächlich auch viele Parts am Schlagzeug spielt und dessen Big Band Professor J.K. Simmons ab, dann bleibt vor allem viel Ärger übrig. Die masochistisch/sadistische Schinderei um der „beste Schlagzeuger“ zu werden, bzw. um den „besten Schlagzeuger zu machen“ – das ist mal schon Unfug der gröberen Art, weil Jazz damit gar nichts zu tun hat!! – beruht auf einer komplett falsch erzählten Story über Charlie Parker, der so schlecht gespielt haben soll, dass der Drummer Jo Jones während einer Session ein Becken in Richtung seines Kopfes geworfen hätte. Und das sei dann die Initialzündung für Parkers „Übewahnsinn“ und der damit verbundenen Karriere gewesen. Tatsächlich hatte sich Parker während einer Session um einen Takt geirrt. Um ihm die Eins der Viererperdiode anzuzeigen, ließ Jo Jones nach mehrmaligen Versuchen sein Becken auf den Boden fallen. Siehe Artikel im New Yorker vom 13.2. 2014
Damit hätte sich der Film eigentlich bereits erübrigt, wenn da nicht ein „pädagogischer“ Sadismus verherrlicht würde, den man sonst eher von Filmen über militärische Ausbildungen, wie z.B. Verdammt in alle Ewigkeit mit Frank Sinatra, kennt. Aber der dort kritisch hinterfragt wird! Ich selber komme noch aus einer Zeit, in der Schläge in der Schule zumindest an der „Wochenordnung“ waren. In der Volksschule sowieso, aber auch später bei bestimmten Lehrern teilweise bis zum Abschluss. Eines war uns immer klar: genützt haben Schläge NIE, und sie sind nur von Lehrern ohne Persönlichkeit und Selbstwertgefühl angewendet worden. Aber zerstört haben sie uns natürlich auch nicht. Doch: es gibt keine „gesunden“ Watschen, nur kranke Typen, die sie austeilen (oder gutheißen!). Soviel zu diesem hier dargestellten extremen Zuckerbrot-und Peitsche-Sadismus in der Pädagogik, der ja in dieser Form – zumindest im Westen - nicht mal mehr im Sport funktioniert. Aber er ist ein Relikt aus einer sehr gewalttätigen patriarchalischen Zeit, aus der Zeit, die wir übrigens heute die „gute, alte“ nennen! Und der noch viele nachtrauern: damals, als man noch wusste, „was Disziplin war!“ Und das scheint der Oscar Akademie, die hauptsächlich aus weißen Männern über sechzig besteht, irgendwie zu gefallen!
Aber da wäre noch etwas anderes in diesem Film , dass ihn zutiefst desqualifiziert: die völlig einseitig, verblödete Darstellung von „Jazz“, die nur dazu führen kann, dass man den Jazz nach dem Anschauen dieses Filmes noch mehr hasst, als man dies bereits vorher tat! Jazz als Musikform hat mit dem hier dargestellten College-Jazz rein gar nichts zu tun.Aber leider hat sich in den letzten vierzig Jahren der Jazz, diese so unglaublich lebendige Musikform, immer mehr ins pädagogische Milieu verlagert, wo sich unterdessen weltweit tausende von Jazz-Schulen/Konservatorien/Unis mit Zehntausenden von Pädagogen, von denen die meisten sowohl Jazz als auch die Musik hassen und beides kaum je von innen, also vom Spielen, vom Erleben kennengelernt haben. Das Ganze ist ein Riesenbusiness geworden, das vorwiegend genormte Spieler produziert. Und zu diesem ganzen Schulwahnsinn gehören natürlich auch die Legionen von Hochschul-Bigbands, in denen gelangweilte alte Männer Kids, die nicht den geringsten Spaß daran haben, ihnen diesen auch noch verderben. Nicht umsonst kommen dann junge Supertalente wie z.B. Mario Rom, Roman & Frantisek Janoska – um ein paar von hier zu nennen - NICHT aus den Jazzschulen, sondern aus der Klassik. Den Rest haben sie sich übers Spielen selber beigebracht.
Gott möge diesen Film davor bewahren, heute Abend als bester Film bei der Oscarpreisverleihung ausgezeichnet zu werden und stattdessen dem Regisseur Live at the Village Vanguard von Bill Evans und Porgy & Bess mit Miles Davis und Gil Evans vorspielen.
mathias rüegg
Ps: der Film fängt schon mal mit einem ziemlich vernudelten, schlecht aufgenommenen Track an, was umso mehr erstaunt, als der ja produziert ist und nicht aus den Proben stammt. Und auch sonst gäbe es jede Menge kleiner Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten, die aufzuzählen aber verlorene Liebesmüh bedeuten würde.