Lang Lang & Christian Sands
Vor kurzem sah ich eine im letzten Dezember produzierte Arte-Doku über die Zusammenarbeit von Lang Lang, den Solisten der Wiener Philharmoniker und Nikolaus Harnoncourt, wobei es um die Einspielung von Mozarts Klavierkonzerten No. 24 in C-Moll und No. 17 in G-Dur geht. Den 32-jährigen chinesischen Superstar kann man hier in ganz intimen Rahmen bei der „Arbeit“ erleben. Es ist schon unglaublich, mit welcher Unbefangenheit Lang Lang, der aus einem komplett anderen Kulturkreis kommt, sich der Musik nähert und wie er Mozarts Musik unendliche viele Schattierungen entlockt, ohne die ganzen wienerisch-biographischen Hintergründe zu kennen, mit denen der eigenartige Dirigent dauernd nervt ohne etwas Substantielles beizutragen. Im Gegenteil, das Schöne an der Musik ist ja gerade das, dass man sie aus den Fesseln biographischer Zuordnung und historisch „richtiger“ Interpretation löst, in dem man sich - wie Lang Lang es hier vorexerziert - beinahe ausschließlich an den Noten, also an der Musik selber orientiert. Und sie dadurch, auch dank der Jugend, neu entdeckt. Und damit auch für eine junge Generation neu zugänglich macht. Es kann nicht darum gehen, wie es Mozart wohl gespielt und wie es damals geklungen hätte. Das ist lediglich für Musikwissenschaftler und vielleicht Unterrichtende interessant.
Lang Lang führt in diesem Beitrag vor, wie ER bestimmte Phrasen versteht, und es ist schon unglaublich, welche Töne er dem Klavier entlockt. Er kann beinahe jedes Instrument, jede Stimme hervorzaubern. Das habe ich noch nicht mal bei Keith Jarrett oder Chick Corea, den zwei großen Klangmalern erlebt! Aber es kommt noch eine weitere Dimension zu seinem Spiel hinzu: Lang Lang hat in seiner Erscheinung nichts Berechnendes, nichts Aufgesetztes, nichts Belehrendes, nichts Überlegenes, nichts Herrisches, nichts Mürrisches, nichts dergleichen. Er spielt wie ein staunendes Kind, und seine großen Augen entdecken die Welt mit jedem Ton neu! Und damit ist er wohl näher bei Mozart als die meisten anderen.
Den um sieben Jahre jüngere US-Jazzpianisten Christian Sands konnte ich im letzten Jahr mit dem Christian McBride -Trio im Porgy & Bess erleben. Der 25-jährige Pianist, der in seiner sehr reifen und ernsten Erscheinung an John Coltrane erinnert, ist eine ähnliche Ausnahmeerscheinung wie Lang Lang, „nur“ eben im Jazz. Im Gegensatz zur Klassik wissen wir im Jazz interessanterweise, wie die „Ahnen“ geklungen haben, da es Aufnahmen von praktisch allen frühen Jazzmusikern, angefangen bei Scott Joplin, Bessie Smith oder Fats Waller gibt. Also von jenen Musikern, die die Sprache des Jazz erfunden hatten und somit alle a u c h Komponisten waren. Man vergisst gerne, dass Jazz die „Klassik“ der schwarzen amerikanischen Musiker ist, weil diese zu Beginn das 20.Jahrhunderts vom weißen klassischen Konzertbetrieb wegen ihrer Hautfarbe ausgeschlossen worden sind. Viele der damaligen Größen wie z.B. Fletcher Henderson oder Art Tatum hatten zuerst eine Karriere als Klassiker vor Augen. Und so waren sie notgedrungen gezwungen, ihre eigene Musik, die sich vor allem in der Dominanz einer stark ausgeprägten Rhythmik von der klassischen Musik unterschied, zu erfinden. Die Rhythmik im Jazz ist aber nie Selbstzweck – sondern immer nur Mittel zum Zweck, also zum Transportieren von Inhalten! „it don’t mean a thing, if you ain’t got that swing“ bedeutet eigentlich nicht, „Hauptsache es swingt“, sondern: wenn man im Jazz was zu sagen hat, dann nur unter der Voraussetzung, dass es swingt!
Jedenfalls spielen im Jazz die genauen Kenntnisse des Spiels der „Vorfahren“ insofern eine wichtige Rolle, als sie den Horizont erweitern, denn es geht ja nicht ums originalgetreue Nachspielen. Und genau diesen Horizont besitzt Christian Sands. Es ist schlicht ergreifend, aus welchem Fundus dieser junge Musiker schöpft, wie er die gesamte Jazzgeschichte abrufbereit hat und somit sehr persönlich, immer auch neu und auf allerhöchstem Niveau gestalten kann. Die Klassik ist bei ihm als Nebeneffekt auch gleich noch dabei. Jedenfalls hatte ich so eine von Musik durchdrungene, feierliche, magische Stimmung bisher noch nie im Porgy & Bess erlebt. Und es gab bereits Standing Ovations bereits VOR der Pause!
mathias rüegg
ps 1: dass Jazz „laut und lustig sein muss“ (Zitat: Uzzi Förster) ist vor allem ein europäisches, und in letzter Zeit auch vermehrt österreichisches Missverständnis!
ps 2: der nächste Eintrag folgt am 15.2.
Lang Lang
The Mozart Album
mit den Wiener Philharmonikern
und Nikolaus Harnoncourt
Sony 2014
Christian Sands, Christian McBride Trio with Christian Sands