Von der Ektase zur Askese (und zurück?)
Wie ich durch Zufall Asket wurde.
Ein Sprichwort meint, der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert.Das würde ich auch so sehen. Besonders in diesen Tagen sind Vorsätze sinnlos und kontraproduktiv, da sollte man lieber feiern. Denn wenn man wirklich etwas in seinem Leben ändern will, bräuchte man viel Zeit. Und vorher wohl auch einige Erkenntnisse über sich selber..
Bis ich zwanzig war, gab es in meinem Leben kaum Alkohol, kein Nikotin, keine Drogen und kaum Sex, da ich am Lande, behütet, in einer frühalternativen, bereits damals biologisch orientierten und humanistisch-religiösen Familie aufgewachsen bin. Das sollte sich ändern, nachdem ich in die grosse Welt, sprich nach Graz zog, um meine Lehr- und Wanderjahre vorerst mit kreativem Nichtstun und Drogen zu versüssen. Nach einem zweitägigen Cold Turkey war das Opium überwunden und nach einer Überdosis LSD, die ich mit viel Glück überstanden hatte, war dann auch radikal Schluss mit den geliebten Joints. Also vor 38 Jahren! Geblieben waren exzessives Rauchen, nachhaltiger Alkoholkonsum und die wohl zutiefst unbewusste, also nicht bewusste Erkenntnis, dass man sich von einem Nichtsuchttypen problemlos in einen Suchttypen verwandeln kann, wenn man nur hart genug an sich „arbeitet“.
Jedenfalls setzte sich dann trotz allem vor 25 Jahren die leise Erkenntnis durch, es wäre wohl besser, meinen überbordenden Kaffeekonsum aufzugeben. Das tat ich denn auch und gewöhnte mich innerhalb eines Jahres an Schwarztee, der bei mir dieselbe Wirkung wie Kaffee, aber keinerlei Nebenwirkungen hat. Und ich habe seither nie mehr Kaffee getrunken, mag seinen Geruch aber nach wie vor sehr gerne. Doch Rauchen und Trinken wurden immer mehr zur fixen Grösse, letztere aber im kontrollierten Fokus (die letzten zwanzig Jahre nur nach getaner Arbeit), etwas, das die „intelligenteren“ Alkoholiker besonders gut können. Als dann aber vor vier Jahren (2011) das 60. Altersjahr drohend am Horizont erschien, beschloss ich eines nachts nach einem sehr heftigen Hustenanfall um drei Uhr in der Früh, mit dem Rauchen aufzuhören. Und zwar so, dass es niemand merken sollte, was mir auch einen geschlagenen Monat lang gelungen ist..:-) Aufhören zu rauchen ist für einen Hardcore-Raucher wirklich etwas vom Schwierigsten! Und gleichzeitig auch sehr banal: man dämpft die letzte Zigarette aus und zündet dann keine neue mehr an. Ich hatte in den letzten Jahren 50 Zigaretten am Tag geraucht, wobei mir meine sehr viel später installierte Nichtraucherapp diesbezüglich mitteilt: ich habe seither auf 65’315 Zigaretten verzichtet – man stelle sich die Grösse des entsprechenden Aschenbechers vor! – und € 14.695,97 in gut dreieinhalb Jahren gespart. Nachteil dabei wäre in etwa : wer aufhört zu rauchen, muss nach dem Sex reden. Man könnte jetzt darüber philosophieren, ob es nicht besser wäre, das Rauchen wieder aufzunehmen oder den Sex auch noch aufzugeben..:-)
Stellvertretend hatte ich begonnen zu laufen, was ich noch immer häufig tue, und das fühlte sich gut, sprich immer besser an. Gleichzeitig hatte ich mir im selben Jahr auf dem Flug nach NYC zum Big Apple Circus vorgenommen, fünf Wochen lang in den USA auf Fleisch zu verzichten. Das halte ich bis heute noch so. Dafür esse ich gerne Fisch, am liebsten inländischen. Vor ca. zweieinhalb Jahren setzte sich dann die Idee durch, dass ich in meinem Leben vielleicht doch schon genügend Alkohol getrunken haben und es mal für eine Zeit lassen könnte (ich hatte ja bereits in den 20 Jahren davor jeweils in den zwei ersten Monaten das Jahres nichts getrunken). Gesagt, getan! Das zog zwar viele (soziale) Konsequenzen nach sich und war/ist auch nicht immer einfach, aber ein permanent klarer Kopf hat ja schon auch etwas für sich! Und vor anderthalb Jahren folgte schliesslich der letzte Schritt – aus purer Eitelkeit, um meine lästigen Kilos zu viel los zu werden: der radikale Verzicht auf künstlichen Zucker in allen Varianten. Kann übrigens mit Honig und reifen Früchten ziemlich gut ersetzt werden, allerdings stellen z.B. der Verzicht auf Schokoladepalatschinken oder diverse Softdrinks schon eine härtere Prüfung dar! Und das immer wieder! Wobei es für mich generell das „entweder-oder “einfacher ist als das „on-off“. Deshalb keine einzige Ausnahme bei all den „Tätigkeiten“, von denen ich mich – im gegenseitigen Einvernehmen - getrennt habe. Und so bin schliesslich Asket geworden.
Moral von der Geschichte: wenn man auf etwas verzichtet, muss man es durch etwas anderes, an dem man Freude hat, ersetzen. Man muss sich bei allem viel Zeit lassen und man darf sich nicht frustrieren oder ärgern dabei, sonst lässt man es lieber. Aber man wird natürlich auch belohnt, z.B. durch die super Ergebnisse bei den Vorsorgeuntersuchungen. Es ist schon unglaublich, wie sich der Körper regenerieren kann und wie viel Energie und Kraft man plötzlich hat! Vom gesunden Schlaf und der regenerierten Haut mal ganz abgesehen.
Und zur „Moral“: es gibt keine. Was für den einen passen mag, passt für den anderen überhaupt nicht! Und es gibt keinen Grund zum Missionieren oder sich überlegen zu fühlen! Im übrigen finde ich den Terror gegen die Raucher verlogen, bösartig und grenzenlos dumm: wie soll man eigentlich nachweisen, dass „passiv rauchen“ schädlich ist? Eben..Ah ja: und für die bedingungslose Freigabe ALLER Drogen war ich schon immer, selbst,als ich noch welche genommen hatte..:-) Und wenn ich 80 bin, dann fange ich sowieso mit allem wieder an!
Jedenfalls gibt es in meiner Wohnung Kaffee, jede Menge Aschenbecher, Tabak und ganz viel Alkohol: Dimple, Remy Martin, Gordons Gin, Campari, Bier, Weisswein, Rotwein, Sekt und Champagner. Meinen Gästen solle es an nichts fehlen! Und die nächste Drogenausgabestelle ist auch nicht allzu weit weg!
Prosit Neujahr!
mathias rüegg
Ps: was ich dann plötzlich mit Schrecken festgestellt hatte: mein Vater war ja bereits Asket, sozusagen bereits von Geburt an. Das richtige Fremdwort dazu hiesse übrigens Sozialisation..:-)
Der nächste Beitrag dann am 16.1.